Momente im Leben mit Walter Ernsting alias Clark Darlton

Das Jahr, in dem ich Walter Ernsting kennenlernte, war ein sehr turbulentes Jahr. Am Karfreitag früh starb mein geliebter Vierbeiner, der mir ein sehr guter und treuer Gefährte gewesen war, an Krebs. Im Mai verließ mich meine langjährige Freundin, nachdem sie einige Male mit einem meiner besten Freunde ausgegangen war, und in ihm nun die bessere Partie sah.
Es war das Jahr 1979, als ich im Januar einen Vortrag von Erich von Däniken besuchte. Darin erwähnte er einen alten Freund, der ihn in seinen Anfangszeiten seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu seinen Theorien inspiriert hatte. Dieser Freund hieß Walter Ernsting.
Als Erich diesen Namen nannte, wurde ich sofort hellhörig. Einige Zeit zuvor hatte ich im damaligen Perry-Rhodan-Magazin ein Porträt über Walter Ernsting alias Clark Darlton gelesen. Clark Darlton war mir bei der Lektüre der Perry-Rhodan-Romane sehr positiv aufgefallen. Seine Romane unterschieden sich von jenen der anderen Autoren. Sie waren weniger technisch, weniger der sturen Logik verfallen, dafür umso menschlicher, herzlicher und fantasievoller. Auch der Bericht in jenem Perry-Rhodan-Magazin hatte mich sehr beeindruckt. Walter Ernsting strahlte viel Wärme und Sympathie aus. Ich hatte mich später immer wieder gefragt, warum mich Walters Anziehungskraft so angesprochen hatte. Es lag wohl daran, dass er eine sehr väterliche Ausstrahlung besaß und ich meinen leiblichen Vater nie kennengelernt hatte. Erichs Worte über Walter hatten denn auch nur positiven Charakter, was meinen bisherigen Eindruck nur noch bestätigte.
Am Ende des Vortrags blieb ich an meinem Platz sitzen, bis alle anderen Besucher ihre Autogramme abgeholt hatten und gegangen waren. Dann erhob ich mich und ging langsam zum Rednertisch. Erich, der bereits seine Siebensachen zusammenpackte, sah mich beschäftigt aber neugierig an.
»Möchten Sie auch noch ein Autogramm?«, fragte er mich beiläufig.
»Nicht unbedingt«, antwortete ich. »Mich würde etwas anderes interessieren.«
Er musterte mich etwas verblüfft und fragte weiter: »Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Sie erwähnten in Ihrem Vortrag einen Freund namens Walter Ernsting.«
»Ja, Walter ist einer meiner ältesten Freunde.«
»Interessant. Gibt es denn eine Möglichkeit, diesen Mann irgendwann kennenzulernen?«
Erich unterbrach seine Tätigkeit und sah mich nachdenklich an.
»Wenn ich es mir so richtig überlege, gibt es diese Möglichkeit tatsächlich. Und zwar schon sehr bald.«
Mein Herz machte einen Sprung und schlug nun etwas schneller.
»Haben Sie am 22. Februar schon etwas vor?«, fragte er mich kurz danach.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Okay, hören Sie gut zu. An diesem Abend kommen Walter und seine Frau Rosemarie zu Besuch zu mir nach Hause. Jedoch habe ich an diesem Abend in Grenchen einen Vortrag, den ich nicht absagen kann. Das Problem ist, dass ich meinen Sekretär bei diesem Vortrag brauche und somit niemanden habe, der Walter und seine Frau am Flughafen in Zürich abholt. Wenn Sie wollen, könnten Sie dies für mich tun.«
»Echt? Sie vertrauen mir einfach so?«
»Na ja, sie wollen doch Walter kennenlernen. Das wäre die passende Gelegenheit. Zudem wären Sie dann eingeladen, den Abend in meinem Haus zu verbringen und mit uns zu essen.«
»Wow, das kann ich unmöglich ablehnen.«
»Ich werde Sie am Tag davor anrufen und Ihnen genau mitteilen, wo Sie sich mit Walter und seiner Frau treffen werden. Vorher werde ich Walter darüber informieren.«
Irgendwie konnte ich es noch nicht so richtig glauben, was Erich mir da anbot. Wollte er sich auf meine Kosten einen Scherz erlauben? Wieso sollte er einem Wildfremden vertrauen, einen seiner besten Freunde vom Flughafen abzuholen?
Ich sagte trotzdem zu, rechnete jedoch damit, dass Erich in der Zwischenzeit bestimmt jemand anderen fand, der diesen Job für ihn erledigte. Jemanden, den er kannte.
So vergingen die nächsten Wochen, und meine Zuversicht, dass Erich mich tatsächlich anrufen würde, schwand mit jedem Tag. Am Vorabend des 22. Februars klingelte das Telefon.
»Von Däniken, guten Abend.«
Ich war sprachlos, und brachte keinen Ton heraus.
»Erinnern Sie sich noch an mein Angebot? Sind Sie immer noch bereit, Walter Ernsting vom Flughafen abzuholen?«
»Aber sicher bin ich das«, antwortete ich begeistert. »Wann muss ich wo sein?«
»Also gut, hören Sie genau zu. Seien Sie spätestens um 17:00 Uhr im Terminal B beim sogenannten Meeting Point. Wissen Sie, wo das ist?«
»Nein, aber ich werde es herausfinden. Ich werde früh genug da sein.«
»Gut, dann kann ich mich auf Sie verlassen?«
»Können Sie.«
»Fahren Sie dann einfach nach Solothurn und von dort nach Feldbrunnen. Das ist ein Vorort von Solothurn.«
Er gab mir seine Adresse, die ich mir aufgeregt notierte.
»Wenn Sie bis etwa 19:15 Uhr bei mir eintreffen, sehen wir uns noch schnell. Nachher muss ich zum Vortrag und werde erst um 22:30 Uhr wieder zurück sein. In der Zwischenzeit können Sie sich reichlich mit Walter unterhalten.«
»Prima, ich werde die Ernstings wohlbehalten zu Ihnen chauffieren.«
Etwas verriet ich Erich jedoch nicht. Ich befürchtete, er könnte sein Angebot zurückziehen, wenn er wüsste, was ich für einen Wagen fuhr.
Den Rest des Abends verbrachte ich in heller Aufregung. Meine Freundin konnte meine Begeisterung nicht so richtig teilen, da sie sich nichts aus Erich von Dänikens Theorien oder aus den Perry-Rhodan-Romanen machte und demnach keine Ahnung hatte, wer Walter Ernsting war.
Am nächsten Tag traf ich bereits eine Stunde zu früh am Flughafen Zürich-Kloten ein und stellte meinen Wagen im mehrstöckigen Parkhaus ab. Den Meeting-Point im Terminal B fand ich schnell, und so bereitete ich mich auf das Treffen vor. Auf der Anzeigetafel wurde regelmäßig die Ankunft von Flügen mitgeteilt. Mich interessierte jedoch ein ganz bestimmter Flug: jener aus Salzburg. Ich konnte es kaum erwarten, bis die Anzeige auf »landed« sprang.
Als es dann so weit war, wurde ich noch nervöser. Würde ich ihn erkennen? Würde er mich erkennen? Erich hatte ihm erzählt, ein langer, dünner Sechsundzwanzigjähriger mit Schnauzer und nicht ganz kurzen Haaren würde ihn abholen.
Es dauerte eine ganze Ewigkeit, bis das Gepäckband des Fluges aus Salzburg zu rollen begann. Ich stellte mich dicht an die große Trennscheibe und spähte aufmerksam ins Innere der Gepäckausgabe. Ich versuchte, mich an Walters Bild aus dem Perry-Rhodan-Magazin zu erinnern, und bei jedem älteren Mann, der den Raum betrat, fragte ich mich: Ist er es oder doch nicht? Diese Frage stellte ich mir mehr als ein dutzend Mal, und ich war schon fast am Verzweifeln, da ich befürchtete, ihn verpasst zu haben.
Doch dann stand er plötzlich mitten in der Gepäckausgabe, sah sich um und blickte mir direkt in die Augen. Er herzhaftes Lächeln erfüllte sein Gesicht. Er hob den Arm und winkte mir zu. Daneben stand seine strahlende Frau Rosemarie, die mir ebenfalls zuwinkte. Das ganze wirkte so, als wäre es die reinste Selbstverständlichkeit und als wären wir alte Bekannte.
Nachdem sie ihre Koffer vom Förderband geholt und auf einen Gepäckwagen geladen hatten, begaben sie sich zum Ausgang. Jetzt war meine Aufregung kaum noch zu überbieten. Nur noch Sekunden, und ich würde Walter Ernsting persönlich gegenüberstehen.
Dann kamen sie durch die elektrische Tür und standen plötzlich vor mir. Die Begrüßung war tatsächlich so, als würden sich alte Freunde nach langer Zeit wieder treffen.
Wir machten uns auf den Weg zum Parkhaus, wobei ich den Gepäckwagen vor mich herschob. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass ich ihnen die Umstände meines Transportmittels mitteilen musste.
»Also, da wäre etwas, das ich Ihnen beichten muss«, begann ich verlegen.
»So schlimm wird es doch nicht sein«, antwortete Walter.
»Na ja, wenn Sie jetzt erwartet haben, ich wäre hier mit einem Mercedes aufgekreuzt, muss ich Sie enttäuschen.«
»Ein Mercedes muss es doch nicht sein. So verwöhnt sind wir nun auch wieder nicht.«
»Es ist auch nicht irgendein gewöhnlicher Wagen.«
»Aber Sie sind doch nicht etwa ohne Wagen hier?«
»Nein, nein, das nicht, aber es ist halt schon ein etwas sehr einfaches Auto.«
»Na, dann raus damit, das wird uns schon nicht umbringen.«
»Also, es ist eine Ente. Sie wissen schon, diese französischen Schaukeldinger.«
»Eine Ente!!! Ach, wie süß!«, meldete sich Walters Frau begeistert. »In so einem Ding wollte ich schon immer mal fahren.«
»Das wird bestimmt sehr lustig«, meinte Walter dazu und lachte herzhaft.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nicht nur, dass es für sie nicht so schlimm war, mit einer Ente chauffiert zu werden, nein, sie fanden es auch noch amüsant. Diese Leute waren ganz nach meinem Geschmack.
Als ich das Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, ging ich mit dem Parkticket zur Kasse und bezahlte ein Vermögen für die gut anderthalbstündige Benutzung des Parkplatzes.
Die Fahrt nach Feldbrunnen gestaltete sich tatsächlich sehr locker und lustig. Rosemarie saß auf der Rückbank und stützte sich zwischen Walter und mir auf die Rückenlehne. Walter amüsierte sich bei jeder Autobahnabfahrt über die ulkigen Ortsnamen. Er verriet mir, dass Rosemarie und er nicht verheiratet waren und dass ihr Spitzname Bibs lautete. Dieser Umstand brachte ihn dann vollends zum Lachen, als wir die Ausfahrt Niederbipp passierten.
»Bibs, schau mal hier, Niederbipp, nieder mit der Bibs. Da werden wir nie hinfahren.«
Lautes Gelächter war die Quittung auf diese Bemerkung. In diesem Stil ging die Fahrt bis nach Feldbrunnen, wo wir kurz vor 19:00 Uhr ankamen. Ich lud die Koffer aus und trug sie zur Tür. Erich begrüßte uns herzlich, bat uns einzutreten und führte uns ins Wohnzimmer. Dort empfingen uns Erichs Frau Elisabeth und sein Sekretär Willy Dünneberger. Am meisten beeindruckten mich die drei Hunde, die uns ebenfalls begrüßten. Einer, eine Deutsche Dogge, war fast so groß wie ein Pony und stand majestätisch mitten im Wohnzimmer. Wir setzten uns, während Elisabeth Snacks und Wein auftischte. Erich und Willy verabschiedeten sich kurz darauf und fuhren zum Vortrag.
Der Abend verlief locker und gemütlich. Nach dem gemeinsamen Abendessen setzten wir uns wieder ins Wohnzimmer und plauderten über alles Mögliche. Dabei stellten Walter und ich fest, dass wir in vielen Dingen auf derselben Wellenlänge lagen. Aber auch mit Walters Lebensgefährtin Rosemarie fand ich sofort einen guten Draht. So entwickelte sich ein angeregtes Gespräch über die verschiedensten Themen.
Der Abend verlief viel zu schnell. Kurz vor 23:00 Uhr hörten wir, wie die Haustür ins Schloss fiel. Gleich darauf kam Erich in seiner gewohnten Hektik ins Wohnzimmer gestürmt, unterbrach unsere Gespräche und sagte völlig außer Atem: »Hat denn niemand von euch die Spätausgabe der Tagesschau angesehen?«
»Warum das denn?«, fragte Walter verwundert.
»Weil ich doch wissen muss, ob heute irgendwo ein UFO gelandet ist!«
Schallendes Gelächter erfüllte den Raum.
Der Abend neigte sich dem Ende entgegen, und kurz vor dem Abschied sagte Walter etwas zu mir, was mir beinahe den Atem verschlug.
»Hätten Sie Lust, Ostern mit uns auf unserer Berghütte zu verbringen?«
Zuerst wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte, da ich es nicht glauben konnte, was ich eben gehört hatte.
»Na?«, fragte Walter noch mal.
»Aber sehr gerne«, antwortete ich verdutzt.
»Gut, alles Weitere klären wir per Brief oder per Telefon.«
Kurz darauf erfolgte ein herzlicher Abschied mit dem Versprechen, dass wir in Kontakt bleiben würden.
Als ich auf der Fahrt nach Hause wieder alleine war, konnte ich es noch gar nicht fassen, was ich an diesem Tag erlebt hatte. Die Zeit bis zu Ostern verging kriechend. Ich konnte den Tag fast nicht mehr abwarten.
Es folgten einige Briefwechsel, in denen sich unsere Freundschaft weiter vertiefte und in denen wir den genauen Zeitpunkt des Treffens vereinbarten.
Zwei Tage vor dem Karfreitag musste ich meinen Hund, ein Collie namens Bonny, zwecks einer Hodenkrebsoperation zum Tierarzt bringen. Die Operation verlief erfolgreich. Doch die Nachwirkungen der Narkose machte dem zwölfjährigen Hund zu schaffen. Er wirkte apathisch und zeigte keinerlei Aktivitäten mehr. Am Abend vor Karfreitag lag er auf seiner Schlafmatte, und bevor ich zu Bett ging, kniete ich mich noch zu ihm auf den Boden. Er hob den Kopf, sah mir in die Augen und legte ihn wieder auf die Matte. Ich streichelte über sein Fell und verabschiedete mich von ihm.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, um zu Walter nach Ainring zu fahren, fand ich den Hund tot auf seiner Matte, immer noch in derselben Position, wie ich ihn abends verlassen hatte.
Der Tod meines treuen Vierbeiners trübte die Vorfreude über den Besuch bei Walter. Meine Schwester, die mich begleitete, versuchte, mich etwas aufzumuntern. Die Fahrt nach Salzburg dauerte etwa sechs Stunden.
Mitten am Nachmittag trafen wir in Ainring ein und fuhren genau nach dem Plan, den Walter mir zuvor geschickt hatte. Wir fanden sein Haus auf Anhieb. Die Wiedersehensfreude war riesig. Auch Walters Mutter war anwesend und begrüßte uns herzlich. Ihr kleiner Yorkshire Terrier machte Luftsprünge vor Aufregung.
Nach einem Erfrischungsgetränk machten wir uns auf den Weg nach Salzburg, um Walters Sohn Robert abzuholen. Dabei lernten wir auch Walters ehemalige Frau Ursula und seine Tochter Sonja kennen.
Auf der Fahrt zur Berghütte merkte ich sehr schnell, dass Robert von meiner Schwester sehr angetan war. Er konnte seine Blicke kaum noch von ihr abwenden. Daran änderte sich auch auf der Berghütte nichts. Immer wieder versuchte er, sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Als wir vor der Hütte neben dem Brunnen auf der Holzbank saßen, sagte Walter zu mir: »So, jetzt stoßen wir auf unsere Freundschaft an.«
Dabei füllte er aus einer Flasche Four Roses fünf Whiskygläser.
»Äh …«, stammelte ich. »Ich trinke keine harten Getränke.«
Walter sah mich ungläubig an. »Wenn Sie wollen, dass wir uns duzen, dann müssen Sie schon ein Gläschen Whisky runterkippen.«
Auf diese Weise kam ich zu meinem ersten und bisher einzigen Glas Whisky. Damit war die Freundschaft besiegelt. Wir verbrachten einen lustigen Abend am Lagerfeuer. Zwischendurch klimperte ich ein paar Lieder auf der Gitarre und spielte auf der Mundharmonika.
Irgendwann nachts ging es um die Verteilung der Schlafstätten. Die Hütte war unterteilt in einen Wohn- und Aufenthaltsbereich, in dem sich auch eine notdürftige Küche befand und am Ende ein Bett stand, in dem Walter und Rosemarie schliefen. Gleich links vom Eingang gab es ein kleines Schlafzimmer mit einem doppelstöckigen Doppelbett, in dem unten und oben je zwei Personen Platz fanden. Im hinteren Teil der Hütte befand sich ein bescheidenes Badezimmer. Robert, meine Schwester und ich machten es uns im Viererschlafzimmer gemütlich. Während Robert unten schlief, belegten meine Schwester und ich die oberen beiden Betten. Allerdings plauderten wir noch die halbe Nacht zusammen, bevor wir fast von selbst einschliefen.
Den Samstag verbrachten wir bei wunderschönem Wetter mit kurzen Erkundungsspaziergängen. Eigentlich waren es eher Kletterpartien, da die Berghütte an einem sehr steilen Hang lag. Walter beteiligte sich jedoch nicht daran, da dies für ihn zu anstrengend war. Dafür begutachtete er immer wieder seine selbst gepflanzten Tannenbäumchen rund um den Sitzplatz. Nach einem improvisierten aber schmackhaften Abendessen blieben wir noch lange am Tisch sitzen und erzählten uns gegenseitig die tollsten Geschichten und Erlebnisse. In dieser Nacht schliefen wir deutlich mehr als in der vorherigen.
Auch der Sonntag weckte uns mit strahlendem Sonnenschein und den Geräuschen der Natur. Doch lange hielt die Idylle nicht an, denn schon kurz nach Mittag kündigte sich eine Invasion an, wie Walter es nannte. Unten auf dem Parkplatz fuhren zwei Fahrzeuge vor, und Walter ahnte bereits, als er sie sah, was ihn erwartete. Er meckerte vor sich hin und verkroch sich vorerst in die Hütte, während Rosemarie den Besuch begrüßte. Es waren Freunde von Walter und Rosemarie, die uns unangekündigt beehrten, was Walters Laune erstmal einen argen Dämpfer versetzte, hatte er sich doch auf ein ruhiges, ungestörtes Osterwochenende eingestellt. Unter den Gästen befand sich auch Walters spätere Lebensgefährtin Ariana.
Als sich der Besuch draußen hingesetzt hatte, erschien Walter aus der Hütte, begrüßte die Gäste ebenfalls und konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. Getränke wurden herumgereicht, und kurz darauf war eine angeregte Unterhaltung im Gange.
So verlief auch dieser Tag sehr angenehm und unterhaltsam. Am späten Abend verabschiedeten sich die Gäste wieder, und am Montag stellten wir die Ordnung in und vor der Hütte wieder her, bevor wir uns auf den Rückweg machten.
In Ainring luden wir unser Gepäck in meine Ente um und traten nach einer herzlichen Verabschiedung die Rückreise in die Schweiz an.
Diese Begegnung war der Beginn einer intensiven Freundschaft, die insgesamt sechsundzwanzig Jahre dauern sollte. Es gab Zeiten, in denen wir uns öfter sahen und auch solche, in denen der Kontakt etwas lockerer war. Viele Male besuchte uns Walter mit Rosemarie, und nach ihrem tragischen Tod im Dezember 1986 dann alleine. Im Dezember 1984 machten Walter und Rosemarie einen fünfwöchigen Urlaub in der Schweiz, über den Walter die Perry-Rhodan-Redaktion nicht informierte. Er brauchte etwas Abstand, wie er damals sagte. Zwei Wochen lang verbrachten die beiden in unserem Haus, und wir hatten jeden Tag bis spät abends eine Bombenstimmung. In einem Nebenraum besaß ich damals ein kleines Tonstudio. An den Abenden veranstalteten wir improvisierte Jamsessions.
Mein Untermieter Jean-Pierre klimperte auf einer akustischen Gitarre, Walter spielte ein kleines krächzendes Blasinstrument, Rosemarie übte sich in Rhythmusinstrumenten, während ich die drei auf meiner Hammond-Orgel und auf dem Synthesizer begleitete. Das Ganze nahmen wir auf ein Tonband auf. Es klang fürchterlich. Katzen, Hunde und Mäuse hätten bestimmt schreiend, heulend und piepsend das Weite gesucht, wenn sie dies mit angehört hätten. Aber es war ein Riesenspaß, über den wir noch Jahre danach geredet hatten. Walter bat mich später sogar um eine Kopie der Tonbandaufnahmen. Als wir uns die anhörten, stellten wir fest, dass das Ganze noch viel schlimmer klang, als wir es von der Session in Erinnerung hatten.
Nach zwei Wochen absoluter Fröhlichkeit und Ausgelassenheit zogen Walter und Rosemarie für weitere drei Wochen in ein Chalet in Adelboden im Berner Oberland, das wir ihnen kurzfristig vermittelt hatten. Bei gesunder Bergluft wollten sie sich weiter von den Strapazen des vergangenen Jahres erholen. An den Wochenenden fuhren wir zu ihnen nach Adelboden und verbrachten jeweils zwei ausgelassene, fröhliche Tage zusammen.
In der Zwischenzeit machte sich die Perry-Rhodan-Redaktion Sorgen über Walters Verbleib. Seine Kollegen und der Chefredaktor konnten ihn nicht erreichen, hatten keine Ahnung, wo er sich aufhielt. Gerüchten zufolge hielt er sich in der Schweiz auf. Man druckte in einem Perry-Rhodan-Heftroman eine Vermisstenanzeige: »Gesucht: Clark Darlton«, stand unter dem Portrait. Sachdienliche Hinweise über den Verbleib von Clark Darlton sind doch bitte der Redaktion mitzuteilen. Auch solle man in Wäldern und an einsamen Bachläufen nach ihm suchen.
Drei Wochen später traf ein Leserbrief ein, der gleich in der nächsten Ausgabe gedruckt wurde. Da schrieb ein treuer Perry-Rhodan-Fan namens Walter Ernsting, er hätte den gesuchten Clark Darlton tatsächlich in der Schweiz gesichtet. Und zwar hätte der Vermisste frisch fröhlich in einer Videothek in Aarau eine Autogrammstunde abgehalten. Walter Ernsting schrieb weiter, er hätte sich am Kiosk gleich neben der Videothek ein Perry-Rhodan-Taschenbuch erstanden und sich danach in die Warteschlange vor dem Autogrammtisch eingereiht. Als er an der Reihe war, von Clark Darlton das Taschenbuch signieren zu lassen, hätte dieser ihn ziemlich eigenartig angesehen und zum ihm gesagt: »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.« Dann signierte er das Taschenbuch und gab es Walter Ernsting zurück.
Als die Perry-Rhodan-Heftausgabe mit diesem Leserbrief erschien, war Walter bereits wieder in Irland und hatte sich bei der Redaktion gemeldet.
Auch nach Rosemaries Tod besuchte uns Walter immer wieder. Im Sommer 1987 hielt er sich ein paar Tage bei uns auf, und am Wochenende besuchten wir gemeinsam einen Erich von Däniken-Con in Zürich.
Als Walter uns im Frühling 1992 besuchte, traten bereits die ersten Symptome des Lungenemphysems auf. Ich brachte ihn zu meinem Hausarzt, der zugleich auch ein guter Freund von mir ist. Dieser überwies Walter gleich in die nahe gelegene Lungenklinik Barmelweid, in der Walter während zwei Wochen sehr gut betreut wurde. Danach ging es ihm wieder erstaunlich gut.
Im Sommer 1992 durfte ich Walter zum dritten Mal am Cabin Point in Irland besuchen und blieb den ganzen August. In dieser Zeit baute ich seine Gartenterrasse um, die sich seitlich des Hauses befand. Dies war zugleich mein letzter Besuch in Irland, da Walter wenig später nach Salzburg zu seiner neuen Lebensgefährtin Ariana zog.
Im Sommer 1995 besuchten wir Walter in Salzburg, und er begleitete uns danach in die Schweiz, wo er drei Wochen bei uns verbrachte. Sein Gesundheitszustand hatte sich jedoch wieder verschlechtert. Sein Aufenthalt in unserem neuen Eigenheim gestaltete sich nicht nach seinen Erwartungen, litt er doch die meiste Zeit an einer Grippe. Es war zugleich sein letzter Besuch bei uns. Auch Erich von Däniken stattete Walter und uns in unserem Haus einen Besuch ab. Es folgten noch einige Besuche unsererseits in Salzburg, doch jedes Mal mussten wir feststellen, dass sein Gesundheitszustand sich weiter verschlechtert hatte. Mittlerweile war er derart anfällig, dass er jeden Winter an einer Grippe mit anschließender Lungenentzündung erkrankte, wobei eine Lungenentzündung bei einem Lungenemphysem meist tödlich endet. Wie durch ein Wunder überlebte er trotz Lungenentzündung zwei Winter. Wir überlegten uns fieberhaft, wie man die alljährliche Wintergrippe verhindern könnte. Dann schilderte ich dies meinem Arzt, und er empfahl Walter, regelmäßig das Co-Enzym Q10 einzunehmen. Daraufhin schenkte ich Walter eine ganze Dose mit 300 Tabletten. Dies sollte sein Immunsystem stärken und Erkältung und Grippe verhindern, sodass die Gefahr einer weiteren Lungenentzündung vermindert wurde. Tatsächlich hatte Walter in den nächsten zwei Wintern keine Lungenentzündung mehr.
Im Januar 2004 besuchten wir Walter das letzte Mal, und wir mussten feststellen, dass er noch mehr von seiner Krankheit gezeichnet war. Im Verlauf des Jahres führten wir noch einige Telefongespräche, aber auch diese strengten ihn immer mehr an. Im Spätherbst war das Emphysem so weit fortgeschritten, dass er immer mehr an Atemnot und Sauerstoffmangel litt. Das letzte Gespräch mit ihm am 26. Dezember 2004 war für mich eine traurige Angelegenheit, da ich an seiner Stimme merkte, wie sehr ihn das Sprechen anstrengte. Praktisch jeder Satz brachte ihn zum Keuchen. Auch das anschließende Gespräch mit Ariana war alles andere als optimistisch. Uns wurde die brutale Realität vor Augen geführt, was uns in den nächsten Tagen erwarten würde.
Robert, sein Sohn, der immer öfter in der Schweiz arbeitete, und oft bei uns übernachtete, hatte uns bereits im November und Dezember immer schlechtere Nachrichten über Walters Gesundheitszustand überbracht.
Als er uns am Sonntag, dem 16. Januar, telefonisch mitteilte, dass Walter am Samstag gestorben war, spürte ich einen tiefen Stich in meinem Herzen. Obwohl ich schon seit Wochen wusste, dass es zu Ende ging, war dieser Moment für mich trotzdem ein großer Schock. Nach dem Telefongespräch saß ich da und spürte, wie sich hinter mir eine Tür schloss. Die Tür eines großen Abschnitts, der in meinem Leben eine bedeutende Rolle gespielt hatte.
Walter war für mich der Vater, den ich selbst nie hatte. Walter war für mich der Mensch, von dem ich väterliche Ratschläge und Kritiken erhielt. Und er war zugleich mein bester Freund. Walter hat mein Leben geprägt und hinterlässt eine große Lücke.
Aber in Walters Familienangehörigen, seiner Lebensgefährtin Ariana, seinem Sohn Robert mit seiner Familie und seiner Tochter Sonja, fand ich liebe Menschen und neue Freunde. In ihnen lebt Walters Seele weiter.
Drei Jahre nach Walters Tod begann ich den Roman »Die Kolonie Tongalen« zu schreiben, den ich Walter nicht nur widmete, sondern ihn unter dem Namen Ernest Walton zugleich auch als eine der Hauptfiguren in die Geschichte einbaute. Es sollte nicht nur ein Denkmal sein, sondern ich beabsichtigte, ihn damit unsterblich zu machen.